Kriegszeiten in Rötenberg
Aichhalder Nachrichten
Berichterstattung von Edith Maier anlässlich des Volkstrauertages
Teil 1
Am weitesten zurück reichen Berichte über den Bauernkrieg von 1525. Das Büchlein „Rötenberg – Ein Dorf im Wandel der Zeit“, welches anlässlich des 850-jährigen Kirchenjubiläums herausgegeben wurde, berichtet ausführlich darüber.
Im Bauernkrieg galt der Spruch: Wer 1523 nicht stirbt, 1524 nicht im Wasser verdirbt (viel Regen und Hochwasser), wer 1525 wird nicht erschlagen, der mag wohl von Wundern sagen.
Dann kam der Dreißigjährige Krieg in den Jahren 1618 – 1648. Dieser schonte auch unser Dorf nicht. Häuser und Höfe wurden abgebrannt, die Felder verwüstet, das Vieh und Nahrungsvorräte geplündert. Viele Rötenberger flohen in die Stadt nach Alpirsbach und hofften, dort Hilfe und Schutz zu finden. Hunger und Not waren so groß, dass die Leute in ihrer Verzweiflung Hunde, Katzen und sogar Leichen gegessen haben. Die meisten Einwohner starben an Hunger und Krankheiten. Auch die von Soldaten eingeschleppte Pest raffte viele Menschen dahin.
Jahrhunderte später erinnern sich ältere Mitbürger, dass ihre Großväter im Deutsch-Französischen Krieg, 1870 – 71, kämpfen mussten. Soldaten, die aus dem Krieg zurückkamen, berichteten von furchtbaren Dingen, die sie erleben und mit ansehen mussten. Und in den meisten Rötenberger Familien herrschte Bedrücktheit und Trauer, weil mindestens einer ihrer Lieben gefallen oder verschollen war.
In damaligen Zeiten galt für Buben: „Der Kaiser braucht Soldaten“.
Für die königliche Garde von Wilhelm II. wurden auch aus Rötenberg große stattliche Männer rekrutiert. An Königs Geburtstag im Jahr 1910 mussten die Kinder in Sonntagskleidung in die Schule gehen und singen: „Heil dir im Siegerkranz, heil deutsches Vaterland, heil, König, dir!“
Dann kam der 1. Weltkrieg. Jeder Mann ab 18 Jahren wurde eingezogen, nicht ahnen könnend, was auf ihn zukommen würde. Die Frauen mussten zu Hause die Stellung halten. Viele starben damals an Schwäche und vor allem bei den Geburten ihrer Kinder, weil sie so ausgezehrt waren. 1916 gab es aufgrund des verregneten Herbstes eine Missernte mit Kartoffelfäule. Im Winter 1916/17 kam ein unerwarteter Kälteeinbruch. Die Folge war, auch aufgrund anderer Faktoren, der Hungerwinter (Steckrübenwinter) 1916/17. Man schätzt, dass zwischen 1914 und 1918 800.000 Menschen in Deutschland an Hunger gestorben sind. Im und in Folge des 1. Weltkriegs verloren 41 Rötenberger Bürger ihr Leben. Zwei Männer galten als vermisst.
1922 wurde das Kriegerdenkmal vor der Kirche eingeweiht. Im Jahr 1933, mit Hitlers Machtübernahme, nahten die Vorboten des 2. Weltkriegs. Schon im selben Jahr wurden die Jungschar und der CVJM verboten. Stattdessen gab es die Hitlerjugend, den BDM (Bund deutscher Mädchen) und das Jungvolk.
Die Dorfkinder, 8 – 10-Jährige im „Jungvolk“, wurden schon in Kriegsführung unterrichtet, man kann schon sagen gedrillt, indem sie in „Armeen“ eingeteilt wurden.
Es gab die „Reintarmee“ und die „Dorfarmee“. Auf dem Brandsteig wurde gekämpft. Wer nicht mitmachen wollte und sich heimlich davon schlich, war ein Deserteur und musste nachexerzieren.
Aus Schussfallen bastelten sich die Kinder Handgranaten. Dabei kam es auch zu einem tödlichen Unfall. Während der Kriegszeit gab es kein Vereinsleben mehr, weil die aktiven Männer zum Kriegsdienst eingezogen worden waren. Auch die Feuerwehr konnte mangels Personal ihren Auftrag nicht mehr erfüllen.
Diejenigen unter den Mitbürgern, die in die Kirche gingen, wurden mehr oder weniger schief angeschaut. Die Kinderkirche durfte zu Weihnachten kein Geschenk mehr verteilen. Martha Reutter fuhr deshalb mit dem Zug nach Freudenstadt, kaufte dort heimlich kleine Geschenke ein. Erst bei Nacht, wanderte sie den steilen Weg von Alpirsbach über den Adelsberg hoch zurück nach Bach-Altenberg, immer in der Angst entdeckt zu werden. Pfarrer im Ruhestand übernahmen die Seelsorgearbeit in der Gemeinde, weil die jungen Pfarrer eingezogen worden waren.
Nach der Lehre mussten die jungen Leute in den Arbeitsdienst. Die Buben waren z. B. zum Brücken- oder Tunnelbau eingeteilt. Mädchen mussten ein Landjahr auf einem Bauernhof absolvieren. In der Schule wurden die 5., 6. und 7. Klasse zusammengelegt, weil keine Lehrer mehr da waren. Da war kein guter Unterricht mehr möglich. Erst nach dem Krieg gab es wieder eine 8. Klasse.
Im Alter von nur 16 Jahren wurden die jungen Männer in den Krieg geschickt. Mit Girlanden gezierte und von Pferden gezogene Rekrutenwagen fuhren nach Oberndorf zur Musterung. An einem dieser Wagen war ein Plakat angebracht: „Achtung, Achtung, jetzt wird’s ranzig, jetzt kommt der Jahrgang 28“. Von diesen Männern kam nicht einer mehr aus dem Krieg nach Hause.
Männer, die man nicht an die Front schicken konnte, z. B. Invaliden aus dem 1. Weltkrieg, wurden vom Rathaus zum Arbeitsdienst verpflichtet. Lager mit Unterkünften für diejenigen, die von weit her kamen, gab es in Alpirsbach und für das Oberamt Oberndorf auf dem Lindenhof. Von da aus wurden sie zu ihren Einsätzen verteilt: Kabelgräben für das Fernmeldeamt bis hinab nach Alpirsbach ausheben, nasse Wiesen drainieren, Straßen bauen, und, bevor Zwangsarbeiter kamen, auf den Höfen mithelfen. Auch militärische Übungen mussten gemacht werden.
Viele Familien distanzierten sich vom Regime und wurden deswegen schikaniert, auch deren Kinder. Sie wurden wie Menschen 2. Klasse behandelt. Gemeinderatsmitglieder, die aus der NSDAP austraten, wurden aus dem Gemeinderat ausgeschlossen. Bespitzelung war allgegenwärtig. Leute schlichen nachts um die Häuser und horchten, was drinnen so geredet wurde. Das meldeten sie dann dem Ortsgruppenleiter.
Zum Krieg musste jeder seinen Beitrag leisten. So mussten z. B. vom Wald jedes Jahr zwei Festmeter Holz pro Morgen abgeliefert werden. Das Holz, welches unter anderem für den Barackenbau verwendet werden sollte, wurde in Alpirsbach auf dem Bahnhof verladen und abtransportiert. Milch musste ins Milchwerk nach Schramberg gegeben werden. Im Ort waren zwei Milchprüfer im Einsatz. Zweimal im Monat kamen sie ins Haus, um die Milchleistung zu kontrollieren. Außerdem wurde peinlich genau darauf geschaut, dass niemand auch nur etwas Milch für sich selbst zum Buttern zurückbehielt, denn das war verboten. Eier wurden in einem Rötenberger Haus gesammelt, wo sie von Parteimitgliedern abgeholt wurden.
Teil 2
Von den gehaltenen Schweinen durften die Bauern eines für sich selbst behalten. Vom Fleischbeschauer musste bestätigt werden, dass es wirklich nur noch dieses eine Schwein im Stall gab. Weitere Schweine und Vieh wurden zu Fuß zum Schlachthof nach Schramberg getrieben. Heimlich schlachten war bei Todesstrafe verboten. Bis auf ein paar wenige wurden sämtliche Pferde im Ort abgeholt. Behalten werden durften nur Pferde, die für den Fracht- und Langholztransport und für den Leichenwagen gebraucht wurden. Jeder Gemeinde wurden zwei Volkstraktoren zugeteilt, die Landwirtschaft sollte mechanisiert werden. Für unseren Ort war zum Erlernen der Traktormechanik ein Ingenieur aus Stuttgart nach Rötenberg beordert worden. Alle Maschinen, die bisher von Tieren gezogen worden waren, mussten für den Traktorbetrieb umgebaut werden.
Von Heu und Hafer hatte man ebenfalls abzugeben, und Kartoffeln musste man in eigens dafür bestimmten Schramberger Häusern in deren Keller tragen. Diese Lebensmittel erhielten Leute, die keinen Garten bzw. keine Landwirtschaft besaßen.
Die Schüler mussten Knochen in die Schule mitbringen. Dort wurden diese abgeholt, anschließend ausgekocht und für die Waffenölherstellung verwendet. Zum Wäsche waschen verwendeten die Hausfrauen Asche, weil es sonst nichts mehr gab.
Zeitweise gab es jede Nacht Fliegerangriffe. Deshalb musste nachts alles verdunkelt werden, auch keine Kerze durfte draußen brennen. Autoscheinwerfer waren bis auf einen kleinen Schlitz zugeklebt. (Im Ort gab es ein Auto, einen Bus von Johannes Scheerer, einen Bus für die Junghans-Arbeiter und einen Lastwagen in der Ziegelei.) Tagsüber flogen die Jagdbomber höchstens auf Höhe des Waldes. Und wenn sie jemanden auf dem Feld sahen, wurde mit Bordkanonen gefeuert. Sie waren oft so schnell da, dass man sich nur noch flach in einen Graben werfen konnte oder unter einem Baum Schutz suchen musste. Ein Waldrand in der Nähe war das Beste. Rötenberg war ein besonderes Angriffsziel. Beim heutigen Flugplatz waren MAUSER-Attrappen errichtet worden, die nachts beleuchtet waren. Einige, bis zu drei Meter tiefe Bombentrichter, zeugten von den Luftangriffen.
Wenn es noch möglich war, wurde Sirenenalarm ausgelöst. Wer die Flieger zuerst hörte, drückte den Sirenenknopf am Rathaus. Dann rannten alle in die Luftschutzkeller. Die Keller waren allesamt von der Partei beschlagnahmt und vom Ortsgruppenleiter hinsichtlich ihrer Eignung begutachtet worden. Der große Luftschutzkeller von Familie Walter im Gebäude neben der Kirche, diente hauptsächlich den Schutz suchenden Schülern der nahegelegenen Schule.
Die Bomber flogen im Verband nicht auf gleicher Höhe. Engländer und Franzosen warfen Stanniolstreifen ab um den Radar zu stören. Die Flakstationen, die die Flieger abschießen sollten, hatten Radarschirme.
Auf der Silberburg wurde das Milchauto im Sturzflug von Fliegern beschossen. Im August 1940 gab es einen Bombenabwurf in der Schmiedgasse, bei dem eine Frau ein Bein verlor. Über dem Gewann Heftenbach wurde eine Bombe abgeworfen, die eigentlich Oberndorf gegolten hatte. Die Bombe explodierte nicht. Das Einschlagloch war vier Meter tief. Gefangene mussten die Bombe ausgraben.
Zwangsarbeiter gab es viele im Ort. Franzosen, Polen, oft ganze Familien. Auf dem Altenberg im „Häfnerhäusle“ (am Platz der heutigen Garage von Familie Fischer) waren russische Kriegsgefangene untergebracht. Sie kamen in Eisenbahnwaggons nach Oberndorf und Alpirsbach und wurden von dort aus auf die Ortschaften verteilt. Es wurde angeordnet, dass sie von Einheimischen auf Schritt und Tritt mit Gewehr bewacht werden sollten. Manche behandelte man schlecht und manche hatten oft nur Wasser und Brot. Sie mussten bei den Bauern und als Bauarbeiter arbeiten. Sie durften nur Holzschuhe tragen, weil diese lange hielten und zum Schluss noch zum Heizen dienten. Alle lernten nach und nach Deutsch, obwohl die Kinder nicht in die Schule durften. Teilweise blieben sie bis 1945.
Hunger und Not waren allgegenwärtig. Hauptsächlich aus Rötenbach und Schiltach kamen viele Menschen zum Betteln und zum Tauschen. Schmuck, Stoffe, Uhren, gutes Geschirr uvm. wechselten den Besitzer gegen Lebensmittel. Da Schiltach evangelisch geprägt war, bekamen sie eher im ebenfalls evangelischen Rötenberg etwas als in den umliegenden katholischen Nachbargemeinden des Kinzigtals. Lumpen- und Alteisensammler fuhren mit ihrem Dreirad umher und hofften auf Gaben. Viele Familien bekamen Verschickungskinder aus zerbombten Großstädten, dem Rheinland und Ruhrgebiet zugewiesen. Sie schliefen dann zusammen mit den eigenen Kindern der Familien zu zweit oder zu dritt in einem Bett.
Zwangsarbeiter aus dem Oberndorfer Lager kamen nachts und klopften an die Stalltüren, da fiel es weniger auf als an den Haustüren. Wenn sie etwas von den Bauern zu essen bekamen, banden sie es unter die Hosenbeine an die Waden, weil es dort eher nicht entdeckt wurde. Nach dem Krieg kamen viele wieder zurück und brachten ihren Wohltätern Dinge als Gegenleistung für das, was sie bekommen hatten.
Zu allem Elend war 1942 ein furchtbar kalter Winter. Soldaten, Flüchtende und Tiere erfroren. Fahrzeuge konnten nicht mehr fahren, weil Treibstoff und Öl einfroren.
Seinen Angehörigen schickte man Feldpostpäckchen an die Front. Ein solches Feldpostpäckchen hatte eine genormte Größe. Inhalt waren oftmals Geräuchertes und auch warme selbst gestrickte Socken. Die Päckchen und Feldpostbriefe waren je nachdem Wochen bis Monate unterwegs, und sofern der Zug, mit dem sie transportiert wurden nicht bombardiert wurde, kamen sie auch an.
Von 1945 – 1948 konnte man nur tauschen, nichts kaufen. Zum Beispiel tauschte man Butter, Mehl oder Speck mit Schiltachern, die dafür Stoffe aus der Stofffabrik Karlin gaben. Erst als DM herausgegeben wurde, waren Sachen, die zurückgehalten wurden, wieder zu kaufen. Für Lebensmittel und Bettwäsche gab es auf dem Rathaus Bezugsscheine.
Verwundete durften auf Heimaturlaub. In Freudenstadt gab es ein Großlazarett, in Alpirsbach ein kleineres. War ein Soldat nicht mehr kriegstauglich, wurde er aus dem Militär entlassen, musste zum Volkssturm oder bei der Firma Mauser, Oberndorf, mitarbeiten.
Fast jede Familie hatte Gefallene zu beklagen, oft mehrere ihrer Lieben. Es wurde immer ein Trauergottesdienst abgehalten. Da hieß es dann: Weint um die, die noch draußen sind. Diejenigen, um die wir heute trauern, haben es geschafft. Kriegstote, die tatsächlich nach Rötenberg zurückgebracht werden konnten, holte man mit dem Pferdefuhrwerk vom Bahnhof ab und bahrte sie im Bürgersaal auf.
Fortsetzung des Berichts folgt!
Der Bericht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Quellennachweis: Rötenberg – ein Dorf im Wandel der Zeit, Kleines Alpirsbacher Heimatbuch und persönliche Berichte von älteren Mitbürgern unseres Dorfes.
Aichhalden-Rötenberg, im Herbst 2024
Edith Maier